(Auszug aus Hans, Barbara: Rückblick und Erinnerungen)
Trotz Einschränkungen, die jeder machen musste, dachte man an die traditionellen Feste, die viele Jahre nicht mehr stattgefunden hatten. Das wichtigste Fest jeder Banater Gemeinde ist das Kirchweihfest, ein Fest der gesamten Gemeinde. Daran wagte die deutsche Bevölkerung im Banat vorerst nicht zu denken. So auch in Neurarad. Aber die Freude an kleinen Freiheiten ließ sich die damalige Jugend nicht nehmen.
Weitere Sonntagstanzunterhaltungen gab es wieder beim Hartmann auf der Großgasse, im späteren Restaurant „Caraiman“. Das Wirtshaus hatte einen großen und einen kleinen Saal, eine Kegelbahn, einen schönen Biergarten, wie auch einen parkähnlichen Garten, den man „Hupfengarten“ nannte.
Im Herbst 1946 wurde das erste Traubenkränzchen nach langen Jahren gefeiert. Man könnte dieses Fest auch Erntedankfest nennen. Im Oktober, wenn die Ente eingebracht, die Weintrauben und das Obst reif waren, die Arbeit im Garten weniger wurde, gab es einen Grund zum Feiern. Die Vorbereitungen für dieses Fest traf man, indem unter der Decke der Tanzfläche ein Spalier gezogen wurde, woran Weintrauben, Birnen, Äpfel und Quitten hingen. Während man darunter das Tanzbein schwang, konnte man sich an dem darüberhängenden Obst bedienen. Da gab es aber die Aufpasser: Paare in schöner alpenländischer Tracht, Mädchen in grünen Röcken mit schwarzem Mieder und weißen Blusen, Burschen in kurzen Hosen mit Edelweißhosenträgern und weißen Hemden. Sobald man sich etwas von oben losriss, wurde man zur Kasse geschleppt. Wer sich weigerte, sein erhaschtes Obst zu bezahlen, wurde in einen Käfig gesperrt, was immer sehr lustig mit der Befreiung endete.
So reihte sich ein Fest an das andere. Das nächste und letzte war im November der Kathreinball. „Kathrein sperr die Geigen ein!”, hieß es immer. Die Adventszeit stand vor der Tür, und als guter Christ nahm man an keinen Tanzunterhaltungen teil. Zu Sylvester begann die närrische Zeit, es folgten der Rosenball, der Vergissmeinnichtball und die traditionellen Faschingsbälle, sowie der Feuerwehrball.
Der Verein der „Freiwilligen Feuerwehr“ in Neuarad war im Gegensatz zu früher bestehenden Vereinen, wie Jugendverein, Frauenverein und anderen mehr, der einzige Verein, der nach 1945 seine Tätigkeit weiterführte. Und nicht zu vergessen die Darbietungen einiger Jugendlicher, die unter der Obhut von Pfarrer Dr. Kräuter, Kaplan Korner und dem damaligen Kirchenchorleiter Franz Marx Singspiele und kleine Theaterstücke aufführten. Diese geselligen Veranstaltungen für Jung und Alt spielten eine wichtige Rolle. Man spürte die Gemeinschaft und den Zusammenhalt, dadurch bewahrte man sich auch einen Teil des Kulturgutes. Auf die damalige Mädchen- und Frauentracht bezogen hatte sich in den Nachkriegsjahren nicht viel verändert.
So setzte sich nach 1947 das Volks- und Kulturleben fort. Für die musikalische Umrahmung der Veranstaltungen sorgten aus Liebe zur Musik recht bunt gemischt die Brüder Teichert, der Trommler Heinrich und andere.
Ab April 1948 gab es die rumänische Verfassung nach sowjetischem Vorbild. Bis Ende des Jahres war deutlich zu spüren, welche Bedeutung das für uns hatte. Das letzte Traubenkränzchen fand – bis mehrere Jahre danach – im Oktober 1948 statt und das mit einschlägiger Änderung. Die traditionelle Dirndltracht wurde verboten, da sie zu deutsch angehaucht schien. Ersetzt wurde sie durch die ungarischen Farben, weiße Röcke und rotes Mieder. Im Zuge mehrerer Reformen wurde die absolute Enteignung durchgeführt. Privat betriebene Gastwirtschaften gaben es nur noch wenige, fast keine unter einem deutschen Namen. Die Gastwirtschaftsfamilie Hartmann musste aus ihrem Gebäude ausziehen und wechselte befristet in die lange Gasse, Ecke Spitalgasse, dank des Schwiegersohnes, der rumänischer Nationalität war. Der vielversprechende Anfang für die deutsche Minderheit konnte bedauerlicherweise ab dann nicht mehr fortgesetzt werden. Das traf besonders die Jugend hart. Außer dem Tanz am Sonntagabend wurde nichts mehr geboten. Genau betrachtet gab es in Neuarad fast keinen Tanzsaal mehr. Den früheren Saal beim Kornett nannte man nun Kulturheim.
Die Neuarader Jugend fühlte sich da nicht mehr wohl. Es war bereits zu gemischt mit anderen Nationalitäten, die eine ganz andere Musikrichtung hatten. So verlagerten sich die Tanzunterhaltungen in den Nachbarort Kleinsanktnikolaus. Da war man mehr oder weniger unter sich. Reinhard Viktor, Porsche Janny, Schinek Richard und der Trommler Hartmann machten gute Tanzmusik. Außer den jährlichen Schulabschlussfeiern oder mal einer kleinen Schulfeier dazwischen wurde in Neuarad nichts geboten. Aber die Schwaben waren immer erfinderisch, um die Gemeinschaft kulturell am Leben zu erhalten. Man scheute sich nicht, im Hause Zimmer auszuräumen, um im Fasching in kleiner Gesellschaft einen „Binglball“ zu organisieren, um damit Nachbarn und Bekannten gesellige Abende zu bieten. In entsprechenden Höfen wurden Biernachmittage veranstaltet, weil man Bier nur über Beziehung beschaffen konnte.
Nach langer Zeit, im Oktober 1954, unter der Obhut der freiwilligen Feuerwehr, wurde im Kulturheim, vormals im Saal bei Kornett, ein Traubenkränzchen veranstaltet. Mit großer Freude wurde es angenommen, und 40 Paare beteiligten sich daran. Endlich war mal wieder etwas los für die Jugend. Ostern 1955 sprach es sich herum, dass bei Breinich Josef in der Serbgasse im Hof ein Tanznachmittag stattfindet – nach der langen Fastenzeit für die Jüngsten der damaligen Jugend genau das Richtige. Auch die Zeit danach wurde immer wieder sinnvoll genutzt. Es kam der erste Samstag im schönen Monat Mai, da erinnerte man sich des früheren Maitanzes, der schon viele Jahre in Vergessenheit geraten war. Bei Franz und Michael Salich in der Hambargasse im großen Schuppen tanzte man in den Mai und das jeden Samstag.
Das war der Anfang für eine weitere, rege Aktivität der Jugend für die nächsten Jahre. Franz Marx, Lehrer an der deutschen Schule in Neuarad, erkannte damals die Situation und nahm die damalige Jugend und die Schulabgänger unter seine Obhut. Die Mehrheit weiß es, wie vielen Dank wir diesem Mann für das, was er damals ehrenamtlich geleistet hat, schulden. Es war die deutsche Kulturgruppe aus Neuarad aus der Taufe gehoben.
Franz Marx leitete von 1945 bis 49 den Kirchenchor in Neuarad. Als leidenschaftlicher Musiker und aus Liebe zur Musik machte er sich die Aufstellung eines Chores zu seiner ersten Aufgabe. In unzähligen Abendstunden, manchmal auch mit viel Ärger verbunden, brachte er der Jugend die schönen alten Volkslieder, Wiener Lieder und Melodien bei. Gleichzeitig dirigierte er das dazugehörige Orchester, das auch nur aus Laien bestand. Von der Querflöte, Violine und Cello bis zur Bassgeige, die der Lehrer A. Tringl zupfte, fehlte kein Instrument. Es blieb nicht nur beim Chor allein, eine Tanzgruppe unter der Leitung von G. Mihailovici wurde gegründet, A. Tringl führte Regie beim Theater. Zu Fasching 1956 stand ein vollständiges Unterhaltungsprogramm auf den Beinen. Weil es viele Jahre Ähnliches nicht gegeben hatte, fand es bei allen Anklang. Der Saal in Kulturheim war fast zu klein. Die Vorstellung musste wiederholt werden. Franz Marx war nicht nur derjenige, der in vielen Stunden etwas auf die Beine gebracht hatte, sondern er war auch derjenige, der es möglich machte, dass die deutsche Bevölkerung, politisch gesehen, wieder auftreten durfte. Was Jahre zuvor noch unvorstellbar war, wurde durch seine grenzenlosen Bemühungen Wirklichkeit.
Im September 1956 feierte Neuarad nach 16 Jahren wieder das Kirchweihfest. Alte Erinnerungen wurden wach, und in feierlichem Rahmen, mit den angehenden Paaren, Organisatoren und dem damals amtierenden Dechant Gregor Sigmeth grub man die im Jahre 1940 vergrabene Kirchweih-Weinflasche im Hofe des ehemaligen Jugendvereins in der Bäckergasse aus. Die deutsche Minderheit konnte wieder aufatmen. Öffentlich marschierten die Paare von der Vortänzerin Theresia Rattinger mit Johann Albecker in Begleitung einer Blasmusikkapelle zur Kirche. Nach dem festlichen Kirchweihgottesdienst zogen die Paare durch die Straßen der Gemeinde und boten Verwandten und Bekannten den Kirchweihwein an. Am Nachmittag war im Hupfengarten Treffpunkt für alle. Jeder wollte dabei sein. Bei Musik und Tanz wurde der Kirchweihstrauß „verlizitiert“ und so der Gewinner als Vortänzer für das nächste Kirchweihfest erkoren. Was die damalige Kirchweihtracht betrifft, wich sie von der traditionellen Neuarader etwas ab. Begründen kann man es damit, dass es fast keine alten Trachten mehr gab und man sich einheitlich für die bis heute bestehende rosafarbene Tracht entschieden hatte.
Die Jugend betrieb weiter eine rege Aktivität. Allein schon die Proben für die nächste Veranstaltung mit Liedern, Tanz und Theater machten Spaß. Man traf sich, es war eine schöne Zeit und man merkte kaum, wie schnell ein Jahr verging und das nächste Kirchweihfest schon vor der Tür stand, mit Barbara Hartmann und Franz Teichert als Vortänzerpaar. Im Fasching 1957 wurde nach langer Zeit wieder ein Faschingszug organisiert. Mit Pferdegespann, Reiter und Narren zog man lustig und tobend durch die Straßen der Gemeinde. Diese Tradition wurde dann wieder in den siebziger Jahren aufgenommen.