Wallfahrt nach Radna 2008

Wenn man die Treppen zur Wallfahrtsbasilika Maria Radna hochsteigt, ist im Erdgeschoß an der linken Seite der Votivgang der Kirche angegliedert. Hier sind Bilder ausgestellt, die von Gläubigen seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts zum Einlösen eines Gelöbnisses nach Maria Radna mitgebracht wurden. Anlaß dazu war immer der glückliche Ausgang eines Unfalls, die Rettung aus den Fluten der Marosch, die Heimkehr aus der Verschleppung, die Genesung nach einer schweren Krankheit u.s.w.Am 8 Juni 1989 habe ich zusammen mit meiner Frau und einer kleinen ausreisewilligen Gruppe aus dem Banat, zwischen Hatzfeld und Lunga den Stacheldraht des Grenzzaunes, mit einer Beißzange durchgeschnitten. Vor dem Salzburger Grenzübergang nach Deutschland wurden wir vom Freunden erwartet. Zum Grenzübergang fuhren wir mit den Auto. Während die Freunde ihre Pässe zeigten, konnten wir beide nur Buletin und RU Nummer vorweisen. Da sagte der Grenzbeamte: “ Hier sind zwei Deutsche und Zwei, die es werden wollen.“ Der Rest war nur noch reine Formalität.
In dieser Stunde viel bei uns beiden das Gelöbnis aus Dankbarkeit für unser glückliches Gelingen, werden wir bei nächster Gelegenheit von Neuarad nach Radna zu Fuß pilgern. Der Entschluß bekräftigte sich noch mehr, als nach 3 Monaten auch unsre 2,5 Jahre alte Tochter mit dem Flugzeug nachreisen durfte. Beim DRK sagte man uns, daß der rumänische Staat, in diesem Falle, nicht das Kind, für die „Straftaten“ der Eltern belangt. Drei Wochen später, kam der Umsturz in Rumänien. Das lebensgefährliche Abenteuer hätten wir uns sparen können.
Glücklich, dass die Familie wieder zusammen ist, haben wir ständig unser Versprechen in Augenschein gehabt. Endlich war es nun soweit, als wir nach fast 19 Jahren am 28.07.2008 unsere Wallfahrt nach Radna angetreten sind. Da die Pension XE-MAR in unmittelbarer der Neuarader Kirche liegt, begann unser Gang genau so wie die grosse Radnaprozession auch von vor der Kirche. Aber diesmal war die Kirche um 7 Uhr früh noch gesperrt, keine Glocken läuteten, keine Musikkapelle spielte.

Neuarad

Da der Straßenverkehr auf der Großgasse sehr intensiv ist, sind wir gleich in der Bäckersgasse abgebogen. Bei Nummer 22 ging es an meinem Elternhaus vorbei. Wegen dem garstigen gelben Gas- und Elektroversorgungskasten zwischen den beiden Fenstern, sieht die Fassade gräßlich aus. Da bin ich fast 30 Jahre lang ein und ausgegangen. Jetzt gingen wir vorbei ohne anzuhalten, ich spürte, daß ich nicht mehr hierher gehöre. Mein Zuhause habe ich anders im Gedächtnis. Auch in der Schmeltzergasse ist der Fußweg sehr schlecht. Einige Häuser erkannte ich noch, viele wurden schon abgerissen und andere neu gebaut. Am Bahnhof habe ich festgestellt, daß der Bahnübergang mit Schranke nicht mehr existiert. Jetzt gibt es eine Unterführung in Richtung Micalaca. Die „Pasarela“, die Überführung für Fußgänger steht aber noch da. Der Blick in Richtung Kleinsanktnikolaus und Bahnhof von da oben ist ziemlich trostlos. Als ich über die Brücke gegangen bin, habe ich mich erinnert, daß ich mit meinem Vater hier war, als ich den Keuchhusten hatte. Angeblich soll der Dampf und der Rauch aus der Dampflokomotive heilende Wirkung gehabt haben. Auf der anderen Seite der Pasarela, haben wir die falsche Richtung eingeschlagen. Nachdem es mir aufgefallen war, daß wir falsch laufen, habe ich jemanden nach den Weg nach Lippa gefragt. Hilfsbereit hat man mir den Weg erklärt und daß sich gleich um die Ecke die Bushaltestelle befindet. Ich habe mich für die Auskunft bedankt, aber nicht gesagt, daß wir zu Fuß dahin gehen möchten. Auch als wir unseren rumänischen Freunden in Arad von unserem Vorhaben in Pilgerschaft nach Radna zu gehen gesagt haben, gab es nur unverständliches Kopfschütteln und Abraten wegen des großen Verkehrs. Wahre Pilger lassen sich aber nicht beirren.
Erst als der Fußweg durch Semiklosch zu Ende war, und wir den Marsch am Fahrweg fortsetzen mussten, haben wir verstanden, wie berechtigt die Warnungen unserer Freunde waren. Nebeneinander zu gehen war nicht möglich, also gingen wir hintereinander. Sobald sich von vorne ein Laster näherte, verließen wir den Asphalt und gingen auf dem Grasstreifen neben der Fahrbahn, immer bereit bei Gefahr, noch weiter in den Graben zu springen. Nach den ersten 2 Kilometern, habe ich bereits mit den Gedanken gespielt aufzugeben. Nach und nach haben wir uns dem Verkehr sehr gut angepaßt, und das präventive Ausweichen ging sehr gut. Der schöne sonnige Tag und das rasche Vorankommen, trotz der vielen Autos ermutigten uns, den Weg fortzusetzen.
In Engelsbrunn angekommen, erblickten wir mit erstaunen den renovierten Engelsbrunnen „Fantuna Ingerului“ . Auf diversen Tafeln, die um den Brunnen angebracht sind, wird die Geschichte des Ortes geschildert. Die Worte: „Ingerul lui Dumnezeu sa ne ocroteasca pe toti“ hat uns ermuntert weiter zu gehen.

Engelsbrunn

Jetzt galt es die Schöndorfer Hohl zu durchqueren. Unendlich zog sich der leicht ansteigende Weg dem Ort zu. Zum ersten Mal hat ein LKW angehalten und der Fahrer hat und gefragt, ob wir nicht ein Stückchen mitfahren möchten. Wir blieben standhaft und gingen zu Fuß weiter. Geschafft! Auf einer Bank, im Park vor der katholischen Kirche in Schöndorf haben wir uns die Vesperpause gegönnt. So war es auch während der großen Neuarader Radnaprozession.

Schöndorf

Es ging der Mittagszeit zu. Die Sonne schien immer steiler und heißer vom Himmel herab. Die Baumallee längs der Straße bot kaum noch Schatten. Ich machte meinen großen Regenschirm auf, um einen Sonnenbrand zu vermeiden, denn Sonnencreme hatten wir vergessen mitzunehmen. Wenn ich so nachdenke, kann ich mich nicht erinnern, daß ich mich jemals auf dem Radnaweg eingecremt hatte. Ich bin in meiner Jugend fast jährlich nach Radna gegangen. Sooft ich dabei war, hatte es niemals geregnet. Endlich war Traunau erreicht. An der Kirche hielten wir kurz um ein Foto zu machen.

Traunau

Wenn man so hintereinander dahin geht, kann man sich schlecht miteinander unterhalten. So waren wir beide weite Strecken weit mit eigenen Gedanken beschäftigt. Ich versuchte mich zu erinnern, wer von meinen Mitschülerinnen und Mitschüler aus den jeweils durchquerten Dörfern stammten.
Ich erinnere mich, daß ich den Weg zwei mal in kleiner Gruppe außerhalb der großen Prozession gemacht habe. Beides Mal waren es Freunde, die ich begleitet hatte, nachdem sie die Ausreisegenehmigung in der Tasche hatten. R. ,F. und A. werden sich gerne daran erinnern. Und plötzlich standen wir mitten in Guttenbrunn. Kurz vor der Kirche gab es eine Bar, die offen war. Durch frisches Mineralwasser und zwei starke Kaffees gekräftigt gingen wir wieder los.

Guttenbrunn

Charakteristisch für die durchquerten Orte sind sie breiten Straßen. Vor jedem Haus standen 2 bis 3 Reihen Obstbäume. Da die Pflaumen schon reif waren, sah man viele Männer, die Pflaumen zum Schnapsbrennen zusammen rafften. Aber auch Kinder, die große Sommerferien hatten, waren damit beschäftigt. Die Hitze war jetzt unerträglich. Zum Glück hatten wir den großen Familienschirm, der uns ein wenig Schatten spendete. Neudorf war nicht mehr weit. Die Füße wurden aber immer schwerer und die Schritte immer langsamer.

Neudorf

Neudorf erinnerte mich an die große Apfelplantage. Jetzt ist nichts mehr davon zu sehen. Die Prozession hätte hier Mittagspause gehalten. Wir dachten aber die letzten 5 Km schaffen wir auch noch mit Links. Kaum hatten wir das Dorf verlassen, sahen wir zum ersten Mal die beiden Türme der Radnakirche. Der Weg machte aber eine scheinbar unendliche Biegung zum Ziel hin. Wir gingen und gingen und kamen fast nicht vom Fleck. Das letzte Stückchen schien mir länger als der bisher zurückgelegte Weg. Die Pausen wurden immer öfter und länger.

Radna

Die Füße wollten nicht mehr. Da tröstete ich meine Frau und sage Ihr: „Wenn wir ankommen, stecken wir unsere Füße in den klaren und kalten Bach, der vor der Wallfahrtskirche vorbei fließt.“ Da habe ich mich aber gewaltig getäuscht. Der Bach war ein kleines Rinnsal, dreckig und sein Bett voller Müll. Das kalte Fußbad wurde protestlos gestrichen.
Als ich Kind war, hatte man mir immer gesagt, wenn du zum ersten Mal nach Radna kommst, mußt du die eiserne Kette durchbeißen. Damals machte ich mir Gedanken, ob die Kette schon am Bahnhof, oder näher bei der Kirche sei.

Brücke über die Marosch

Maria Radna

Vor uns stand die riesige Wallfahrtsbasilika das Ziel unsere Pilgerung. Die wehen Füße, die Hitze, der große Verkehr waren vergessen. Endlich haben wir unser Versprechen einlösen können! Unsere Reise hatte um 7 Uhr begonnen und war um 15:30 zu Ende. Wenn man insgesamt 1,5 Stunden Pause abzieht bleiben 7 Stunden Gehzeit übrig. Die Strecke ist 34 km lang, d h. im Schnitt haben wir 4,8 km/h zurückgelegt. Das kann sich sehen lassen.
Die Kirche muß dringend renoviert werden. Der Anfang ist bereits gemacht, das Gerüst um den Nordturm ist bereits aufgebaut. Auf dem Gerüst arbeiteten Bauarbeiter.
In der Kirche war es angenehm kühl und da kaum Besucher da waren, herrschte tiefe Stille. Beide setzten wir uns auf die Bank in der hinteren Reihe und versuchten die vielen Gedanken, die uns gerade beschäftigten zu ordnen.
Es kam mir alles so bekannt vor und anderseits doch so fremd. Dieses Gefühl hatte ich auch schon in der Neuarader Kirche. Während meines Besuches war gerade Rosenkranz Gebet, zuerst in rumänischer, dann in ungarischer Sprache. Deutsch habe ich kaum noch zu Gehöhr bekommen.

Bahnhof Radna

Froh, daß wir endlich unser Versprechen eingelöst haben, machen wir uns auf den Rückweg, diesmal aber mit der CFR

Pilger J. Künstler, Neuarad / Stuttgart

2 Gedanken zu „Wallfahrt nach Radna 2008“

  1. Sehr schöner Bericht, den ich bis ins Detail nachvollziehen kann.

    Ich kann jedem, der den Weg von Neu-Arad nach Radna zu Fuss bestreiten möchte, empfehlen, dies an einem Sonntag zu tun. Unter der Woche ist der Verkehr einfach zu groß. Man muss ständig vom „Astphalt“ in die Strassengräben ausweichen. Außerdem sollte man einen Stock dabei haben, denn oft wird man von streunende Hunde angefallen. Die Menschen in den Dörfer sind sehr freundlich, die Kinder grüßen höflich beim Vorbeigehen.

    Bis Guttenbrunn ist der Weg sozusagen „floare la ureche“. Danach wird es jedoch zäh – und zwar verdammt zäh. Spätestens beim Verlassen von Neudorf hat man das Gefühl, der Weg würde nie enden. Wenn einem dann noch mitten in der Prärie ein paar Hunde angreifen, merkt man, dass man eigentlich gar nicht mehr in der Lage ist sich zu wehren und dem Schicksal ausgeliefert ist.

    Das Schönste am Radna-Weg ist der Zieleinlauf zum Kalvarienberg. Dann kommen alle Emotionen hoch für die man den Weg bestritten hat.

    Das Schwerste am Radna-Weg ist für mich immer wieder die Treppe zum Kalvarienberg – aber nicht hoch sondern runter! Dann, wenn man es geschafft hat und das Ziel erreicht ist.

    Anfang August 2009 bin ich den „heiligen Weg“ zum x-ten Mal gegangen. Für mich war es (wie immer) das letzte Mal. Eigentlich, denn wenige Tage danach ruft mich der Kalvarienberg wieder und es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange ich dem Ruf widerstehen kann.

    Viele Grüße

    Berthold Titzler
    (aus der Hambarsgasse)

  2. was soll ich da sagen, einfach super. Ihr ward ja nicht alleine ein Schutzengel hat euch den ganzen Weg begleitet.
    vielen Gruss
    Josef Drommer
    Fremantle/West Australien
    (auch ein Neu Arader)

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